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„Wir haben es doch von Anfang an gewusst?! Durchsuchung und Beschlagnahme ohne Anfangsverdacht

 

  1. Ausgangssituation und Kernproblem
    Der Beitrag befasst sich mit einer Entscheidung des Landgerichts (LG) Berlin, in der es um die Zulässigkeit von Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen bei (angeblich) fehlendem oder unzureichendem Anfangsverdacht geht. Die Autoren zeigen anhand dieses Falls, dass sich Verteidigerinnen und Verteidiger verstärkt mit der Frage auseinandersetzen sollten, ob eine Maßnahme tatsächlich auf konkreten, nachweisbaren Tatsachen gründet oder lediglich auf Vermutungen.

  2. Formale Anforderungen: Schriftlichkeit und Begründung
    Eine zentrale Rolle spielt die Frage, ob die richterliche Anordnung einer Durchsuchung in schriftlicher Form vorliegen muss und wie detailliert sie zu begründen ist. Grundsätzlich fordert die Strafprozessordnung (StPO) eine schriftliche, nachvollziehbare und konkrete Darlegung des Anfangsverdachts. Bei mündlichen Anordnungen (z. B. in Eilfällen) sind die Tatsachengrundlage sowie die Eilbedürftigkeit sorgfältig zu dokumentieren. Geschieht dies nicht oder nur unzureichend, droht die Maßnahme rechtswidrig zu werden.

  3. Materieller Anfangsverdacht und Verhältnismäßigkeit
    Neben den formalen Erfordernissen muss immer ein hinreichender Anfangsverdacht vorliegen, der auf „konkreten Tatsachen“ beruht. Dieser Verdacht darf sich nicht bloß aus allgemeinen Mutmaßungen ergeben, sondern muss sich auf belastbare Hinweise stützen lassen. Fehlt es an einem solchen Tatsachenkern, ist die Durchsuchung unverhältnismäßig und rechtswidrig.

  4. Hypothetischer Ersatzeingriff und Beweisverwertung
    Ein Schwerpunkt des Aufsatzes liegt auf dem sogenannten hypothetischen Ersatzeingriff. Dieses Konstrukt wird in der Rechtsprechung herangezogen, wenn eine Durchsuchungsanordnung zwar formale Fehler aufweist, jedoch inhaltlich gerechtfertigt gewesen wäre. In solchen Fällen kann – vereinfacht gesagt – ein Beweisverwertungsverbot entfallen, weil man annimmt, dass die Maßnahme bei korrekter Vorgehensweise ohnehin ergangen wäre.

    • Reine Formfehler: Wenn nur die Formvorschriften verletzt sind (z. B. fehlende schriftliche Ausfertigung, obwohl die Tatsachengrundlage ausreichend gewesen wäre), kann die Verwertung der Beweismittel häufig aufrechterhalten bleiben.
    • Fehlender Tatsachenkern: Lag aber kein echter Anfangsverdacht vor, kann auch ein hypothetischer Ersatzeingriff das Fehlen der materiellen Voraussetzungen nicht heilen. In einem solchen Fall ist die Durchsuchung von Anfang an unzulässig, was zu einem Beweisverwertungsverbot führt.
  5. Zutreffender Beurteilungshorizont und Zeitpunkt der Prüfung
    Die Autoren betonen, dass für die Bewertung der Rechtmäßigkeit auf den Zeitpunkt der Anordnung bzw. Durchführung abzustellen ist. War zu diesem Zeitpunkt kein ausreichender Anfangsverdacht vorhanden, lässt sich die Maßnahme nachträglich nicht mehr durch spätere Erkenntnisse rechtfertigen.

  6. Praktische Konsequenzen
    Der Aufsatz verdeutlicht, dass Verteidigerinnen und Verteidiger in der Praxis:

  • gründlich prüfen sollten, ob eine Durchsuchung auf hinreichend dokumentierten Tatsachen beruhte und formell korrekt angeordnet wurde,
  • gegebenenfalls Verwertungsverbote geltend machen können, wenn ein Anfangsverdacht von vornherein fehlte oder die formalen Anforderungen grob verletzt wurden
  1. Fazit
    Der Beitrag zeigt, dass das LG Berlin strengere Maßstäbe an die Durchsuchungsanordnung anlegt und damit den Richtervorbehalt sowie die Grundrechte der Betroffenen stärkt. Gerade bei Durchsuchungen ohne klare Tatsachengrundlage oder ohne ordnungsgemäße Dokumentation können Beschuldigte und Verteidigerinnen bzw. Verteidiger mit guten Erfolgsaussichten gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vorgehen. Für die Praxis ergibt sich: Fehlt ein ausreichender Anfangsverdacht oder mangelt es an einer sorgfältig begründeten richterlichen Anordnung, drohen Beweismittelverluste durch ein Beweisverwertungsverbot.
 

Anmerkung zu LG Berlin, Beschl. v. 27.2.2022 – 545 Qs 1/24, 2/24“
von Raoul Beth und Alexander Mayr in der StraFO, S. 52 ff.

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